Initiative Freies Wort

Veranstaltung 2019

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Programm

Dienstag, 30. April 2019, 19 Uhr – Salzburg Museum, Mozartplatz 1

Zivilcourage gestern:heute

„Dort, wo man Bücher verbrennt...“

Almansor:
Wir hörten daß der furchtbare Ximenes,
Inmitten auf dem Markte, zu Granada –
Mir starrt die Zung im Munde – den Koran
In eines Scheiterhaufens Flamme warf!
Hassan:
Das war ein Vorspiel nur, dort wo man Bücher
Verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen.
(Heinrich Heine: Almansor. Eine Tragödie. Berlin 1823 – Erstveröffentlichung 1821)

Salzburg, die „schöne Stadt“ („alte Plätze sonnig schweigen …“ Georg Trakl), war auch ein bedrängender Ort. Am 30. April 1938 inszenierte der Lehrer und Schriftsteller Karl Springenschmid auf dem Salzburger Residenzplatz eine Bücherverbrennung – die einzige in Österreich nach nationalsozialistischem Muster. Schon das Fanal am 10. Mai 1933 in Deutschland zielte auf Auslöschung der österreichischen Literatur von Weltruf, darunter Sigmund Freud, Franz Werfel und Stefan Zweig. Was von ihr in der österreichischen Diktatur von 1933 bis 1938 übrig blieb, wurde im nationalsozialistischen Salzburg, inmitten der Altstadt, angesichts der erzbischöflichen Residenz, des Domes und des Mozartdenkmals, verbrannt – Vorbote von dem, was noch kommen sollte …

1987 erinnerte erstmals eine Initiative der Salzburger Autorengruppe an dieses ungeheuerliche Vorkommnis. Erich Fried hatte damals bei strömendem Regen in seiner aufrüttelnden Rede gesagt: „Und bloß die Bücherverbrennung zu verdammen und nicht zu kämpfen, das genügt nicht einmal, um neue Bücherverbrennungen zu verhindern, und das genügt nicht, um die Verbrennung der ganzen Welt zu verhindern. Das wollte ich sagen.“

Zwanzig lange Jahre danach gab es nun am 30. April 2007 erneut eine Gedenkveranstaltung, die an diesen Vandalenakt der Nazis erinnerte. Nun haben sich Vertreter des Zentrums für Jüdische Kulturgeschichte der Universität Salzburg (Gerhard Langer, Karl Müller, Armin Eidherr), der Israelitischen Kultusgemeinde (Hofrat Marko Feingold), des Vereins Literaturhaus Salzburg (Tomas Friedmann), des Friedensbüros Salzburg (Christine Czuma), der Katholischen Aktion (Generalsekretär Hannes Schneilinger), der Plattform www.erinnern.at (Sigrid Langer) und der Internationalen Stefan Zweig Gesellschaft (Hildemar Holl) mit dem Ziel getroffen, die Erinnerung an den 30. April 1938 wach zu halten. Dank der großzügigen Unterstützung der Salzburger Sparkasse und der Stadt Salzburg konnte eine mehrteilige Veranstaltung vorbereitet werden.

Dabei war die Nazi-Bücherverbrennung des Jahres 1938 in den drei Programmteilen dieses Tages wiederholt Anlass, auf Grundsätzliches und Wesentliches hinzuweisen – die Vernichtung des Buches als ein Zeichen der Auslöschung von Geist, Freiheit und Emanzipation und als ein aktuelles und virulentes Problem der Gegenwart. Denn wie ein roter Flammenschein zieht sich das lodernde Rot durch die Geschichte und die Kulturen oder, wie sich Erich Kästner schon anlässlich des 25. Jahrestages der Bücherverbrennung des Jahres 1933 bei der PEN-Tagung in Hamburg am 10. Mai 1958 ausdrückte: „Das blutige Rot der Scheiterhaufen ist immergrün.“ Diesem Gedanken waren denn auch die Beiträge von Wissenschaftlern und SchriftstellerInnen an diesem 30. April 2007 gewidmet.

Am Vormittag stellten Gert Kerschbaumer und Karl Müller in einem zweistündigen Vortrag an der Universität die Salzburger Bücherverbrennung in die historischen Kontexte und analysierten Vorgeschichten, Ausprägungen und die bedrängenden Folgen dieser „Aktion wider den undeutschen Geist“, wie sich die Nazis ausdrückten.

Diese begann „schlagartig“ in den Umbruchstagen und erstreckte sich auf alle mit der Herstellung und Verbreitung von Literatur befassten Instanzen der vor 1934, also während der Ersten Republik, relativ autonomen Kulturgesellschaft. Die „Aktion wider den undeutschen Geist“, die „Säuberungs- und Entrümpelungsaktion“ auf der Grundlage der „zum Schutz von Volk und Staat“ verordneten „schwarzen Listen“ mit „verbrennungswürdigen“ Büchern, gipfelte in der Bücherverbrennung, die effektvoll inszeniert wurde. Vorbild für Salzburg waren die Bücherverbrennungen im Deutschen Reich vom Mai 1933, die damals in vielen deutschen Universitätsstädten durchgeführt worden waren. Salzburg hat den zweifelhaften Ruhm, der einzige Ort der damaligen „Ostmark“ zu sein, wo eine derartige Bücherverbrennung durch die Nationalsozialisten stattfand. In Salzburg musste im Jahre 1938 das Konzept der Verbrennung von Büchern an die spezifischen politisch-historischen Umstände angepasst und verändert werden. Denn die deutsche Hauptstoßrichtung des Jahres 1933 – die prinzipiell antisemitische Auslöschung der Moderne, in der Mehrzahl „pazifistische, defaitistische und bolschewistische“ AutorInnen, wie sich die Nazis ausdrückten –, wäre 1938 nach vier Jahren Austrofaschismus zum Teil ins Leere gegangen, hatten doch die Kulturfunktionäre des österreichischen Ständestaates schon zwischen 1934 und 1938 die pazifistische, marxistische und zum Teil kritisch-bürgerliche Literatur von sich aus bekämpft. In der Beseitigung der „kulturbolschewistischen Pseudokunstproduktion“ waren sich Austrofaschismus und deutscher Faschismus einig. Der NS-„Kampf gegen Schmutz und Schund“ hatte 1933 sogar überschwängliche Begeisterung in österreichischen vaterländisch-katholischen Kreisen erweckt. Die Moderne verlor unter dem Austrofaschismus die wenigen Einflussbereiche. Die „völkische Literatur“ eroberte die freien Positionen, doch erst mit dem „Anschluss“ wird die völkischnationale und nationalsozialistische Literatur zur dominierenden Macht in allen Literaturinstanzen. Das öffentliche Signal zur „Ausmerzung“ gaben der Landesschulrat für Salzburg und die Gauwaltung des NS-Lehrerbundes sechs Wochen nach dem Staatsstreich 1938. Schüler- und Lehrerbüchereien seien einer genauen „Revision“ zu unterziehen. Die beim Salzburger Autodafé inszenierte anti-klerikale und anti-austrofaschistische Stoßrichtung verstellt aber den Blick auf den gesamten Umfang und die Hauptstoßrichtung der Kulturbarbarei gegen die Moderne. Alle Bücher jüdischer Autoren sowie Bücher, die aus der Dollfuß-Schuschnigg-Zeit stammten und rein klerikalen Zwecken (politischer Katholizismus) dienten, seien im Hof des Mirabellschlosses (Magistrat und Deutsches Volksbildungswerk) abzugeben.

Die NS- Regie inszenierte die Bücherverbrennung als Bruch, als symbolische Vernichtung der „alten Zeit“, für die Unterdrückung, Zerrissenheit, Not und Elend stehen, und als symbolischen Aufbruch in eine „neue Zeit“, für die Wiedervereinigung, Einigkeit, Gleichheit, Freiheit und Modernität stehen. Durch die Akzentuierung der Stoßrichtung gegen die „Systemzeit“, gegen ein reaktionäres System, und durch die Demonstration des „stürmischen Elans der Jugend“ gab sich der Nationalsozialismus modern, jugendbewegt und aufmüpfig gegen die Herrschenden, die allerdings bereits abgetreten waren. Der Nationalsozialismus verstellte damit den Blick auf seinen wahren Charakter. Er vollzog nämlich einen Bruch in Bereichen, in denen es Emanzipation, Freiheit, Fortschritt und Utopie gab, in den Bereichen Literatur, Wissenschaft und Presse.

Am Nachmittag fand auf dem Residenzplatz eine etwa einstündige Veranstaltung statt, die reges Publikumsinteresse erfuhr und von Kompositionen von Igor Strawinsky und Erwin Schulhoff begleitet wurde, gespielt vom Bläser-Ensemble Triophonie und Mitgliedern der Klezmer-Connection.

Gert Kerschbaumer eröffnete mit einigen prinzipiellen Gedanken, die auch auf aktuelle kulturpolitische Fragen anspielten:
„Wie nachhaltig der Zivilisationsbruch in Salzburg wirkt, zeigt sich darin, dass es hier bislang misslungen ist, ein Haus für Stefan Zweig zu errichten. Lebendig wie eh und je ist jedoch sein literarischer Traum von der Einheit der Welt, des Orients und Okzidents – sein Kosmos, aus dem ich abschließend die Frage zitiere: ‚ … wie kann man atmen ohne die Weltluft, die aus den Büchern strömt?’“

Robert Schindel hatte sich bereit erklärt, eine Rede zu halten, in der er unter anderem die Brücke zwischen der Bücherverbrennung von 1938 und modernen Angriffen auf Künstler und Aufführungen schlug:
„Hier stehen wir und gedenken der Bücherverbrennung 38, indes ununterbrochen in vielen Teilen der Welt Menschen verbrannt werden. Achten wir womöglich darauf, dass jene Symbolakte uns nicht und nie den Blick verstellen für die aktuellen Barbareien, die unter unseren Augen geschehen. Dass aber Salzburg heute zum zweiten Mal sich an diese Schande vom 30. April erinnert, sei ihm hoch angerechtet. Womöglich lässt die Stadt und auch gewisse kirchliche Kreise die Künstler hier arbeiten und man setzt den Index ein für alle Mal auf den Index. Denn der Meinungsstreit ist das eine, Verbote etwas ganz anderes. Nebenbei: Es liegt im Wesen jeglicher Orthodoxie, gleichgültig welcher Religionen, Ideologien, eine Welt der eigenen Dogmen zu errichten, in denen nur diese Platz haben. Deshalb mögen die Religionen bei sich selbst anfangen, in die Toleranzen zu gehen und die weltlichen Ideologien mögen folgen. Dann werden sie keine Bücherverbrennungen mehr veranstalten in Zukunft und auch nicht unter solchen zu leiden haben.“

Anschließend lasen Salzburger SchriftstellerInnen Texte zum Thema von Stefan Zweig, Kurt Tucholsky, Lion Feuchtwanger, Soma Morgenstern, Carl Zuckmayer, Berthold Viertel, Ilse Aichinger und Ernst Kästner.

Christine Haidegger (unten rechts) las aus einem Brief von Stefan Zweig an den belgischen Maler Frans Masereel vom 15. April 1933. Der Brief wurde also einige Wochen vor dem 10. Mai 1933 geschrieben, als im Deutschen Reich in über 40 Städten Bücher verbrannt wurden. Es heißt dort u.a. “Was sonst geschieht, spottet jeder Beschreibung, jede Art von Recht, Freizügigkeit ist in Deutschland aufgehoben, und es wird nur ganz kurze Zeit dauern, und wir haben in Österreich das gleiche Schicksal.“

Ludwig Laher (unten links) trug aus einem Brief von Kurt Tucholsky an seinen Freund Walter Hasenclever vom 17. Mai 1933 vor: „… Da kommen sie nun aus allen Löchern gekrochen, die kleinen Provinznutten der Literatur, nun endlich, endlich ist die jüdische Konkurrenz weg - jetzt aber! […] Lebensgeschichten der neuen Heroen. Und dann: Alpenrausch und Edelweiß. Mattengrün und Ackerfurche. Schollenkranz und Maienblut — also Sie machen sich keinen Begriff, Niveau null.“

Vladimir Vertlib (unten links) las Teile aus der bedrängenden Hinrichtungspassage aus Lion Feuchtwangers historischem Roman „Jüd Süß“ (1925), der sich mit dem Schicksal von Josef Süß Oppenheimer, dem Bankier und Finanzberater von Herzog Karl Alexander von Württemberg, auseinandersetzt. Josef Süß Oppenheimer war am 4. Februar 1738 hingerichtet worden.

Armin Eidherr (oben rechts) trug eine Passage aus Soma Morgensterns Erinnerungen „Joseph Roths Flucht und Ende“ vor, erschienen 1994, geschrieben in Erinnerung an die Jahre 1933 und 1934. Soma Morgensterns Romantrilogie „Funken im Abgrund“ – „Der Sohn des verlorenen Sohnes“, „Idyll im Exil“ und „Das Vermächtnis des verlorenen Sohnes“ – konnte zur Gänze erst in den 1990er Jahren in ihrer deutschen Originalsprache publiziert werden, war also dem deutschsprachigen Publikum nicht zugänglich. Schon zwischen 1946 und 1950 war die Trilogie in einer amerikanischen Übersetzung publiziert worden. Soma Morgenstern, 1890 in Ostgalizien geboren, war eng mit Joseph Roth befreundet: „Du [sagte Joseph Roth zu seinem Freund Soma Morgenstern] mußt trachten, mit dem Buch schnell zu Ende zu kommen. Wir haben unsere Welt verloren. Ich bin in etwas besserer Lage als du, denn meine Bücher haben schon meinen Namen im Ausland bekannt gemacht. Das wird mir nicht viel helfen. Aber wie man in Wien sagt: besser wie gornix. Du, Soma, kommst schon fast zu spät. Wie soll sich einer, der jetzt deutsch schreibt, im Ausland als Flüchtling einen Namen machen?"

Christoph Janacs (unten links) las Passagen aus Carl Zuckmayers Autobiographie „Als wär’s ein Stück von mir. Horen der Freundschaft“ (1966). Zuckmayer lebte seit 1934 in Henndorf bei Salzburg und flüchtete nach der Annexion Österreichs im Jahre 1938 aus Österreich. Die folgende Passage bezieht sich auf diese entscheidenden Stunden und stammt aus dem Kapitel „Austreibung“: „Ich reiste allein, mit dem direkten Zug Wien-Zürich. […] Der Salzburger Bahnhof glich einem Heerlager, überall kampierten die Einmarschtruppen, die einen ruhigen, disziplinierten, soldatischen Eindruck machten. […] Der gleiche Mob, den ich von Wien her kannte, belagerte die Bahnhofshalle, sagte „Sssieg-Heil“ oder sang das Horst-Wessel-Lied, die Parteihymne, in der es wie zum Hohne hieß: „Die Zeit für Freiheit und für Brot bricht an!“ und an die, erst recht wie zum Hohn, das gute alte Deutschlandlied des einstigen 48ers Hoffmann von Fallersleben, nach der Melodie von Haydn, angehängt wurde. […] Der Gedanke, dieses Land zu verlassen, wurde mir immer leichter.“

O. P. Zier (oben rechts) trug das Gedicht „Der nicht mehr Deutsch spricht“ von Berthold Viertel aus dem Gedichtband „Der Lebenslauf“ vor, der im Jahre 1946 im New Yorker Exilverlag „Aurora“ erschienen ist. Dort heißt es u. a.: „Deutsch zu sprechen hast du dir verboten/Wie du sagst: aus Zorn und tiefer Scham./ Doch wie sprichst du nun zu deinen Toten,/Deren keiner mit herüberkam?“

Gudrun Seidenauer (unten links) las Passagen aus Ilse Aichingers „Aufruf zum Misstrauen“, erstmals publiziert in der Zeitschrift „Plan“ im Juli 1946: „Ein Druckfehler? Lassen Ihre Augen schon nach? Nein! Sie haben ganz richtig gelesen — obwohl Sie diese Überschrift unverantwortlich finden, obwohl – – Sie finden keine Worte. […] Aufruf zur Vergiftung also? Aufruf zum Untergang? Beruhigen Sie sich, armer, bleicher Bürger des XX. Jahrhunderts! Weinen Sie nicht! Sie sollen ja nur geimpft werden. Sie sollen ein Serum bekommen, damit Sie das nächste Mal um so widerstandsfähiger sind! […] Trauen wir dem Gott in allen, die uns begegnen, und mißtrauen wir der Schlange in unserem Herzen! Werden wir mißtrauisch gegen uns selbst, um vertrauenswürdiger zu sein!“

Schließlich zitierten Ludwig Laher und Christine Haidegger (oben rechts) aus einer Rede Erich Kästners, die er anlässlich der 25. Wiederkehr des Jahrestages der Bücherverbrennung von 1933 bei der PEN-Tagung in Hamburg am 10. Mai 1958 gehalten hat: „Es gibt Andachtsübungen, und wie es Andachtsübungen gibt, sollte es, nicht weniger ernsthaft und folgenschwer, Gedächtnis-Übungen geben. Meine Damen und Herren, wir sind zu einer Gedächtnis-Übung zusammengekommen. […] eine Gedenkstunde soll eine Gedächtnisübung sein, und noch etwas mehr. […] Man darf nicht warten, bis der Freiheitskampf Landesverrat genannt wird. Man darf nicht warten, bis aus dem Schneeball eine Lawine geworden ist. Man muß den rollenden Schneeball zertreten. Die Lawine hält keiner mehr auf. Sie ruht erst, wenn sie alles unter sich begraben hat.“

Schülerinnen des Bundesgymnasiums Zaunergasse hatten sich in den vergangenen Wochen mit dem Thema Bücherverbrennung befasst und Informationsblätter zu einzelnen Autoren mit Biographie und Textproben gestaltet; sie verteilten die Blätter dem interessierten Publikum auf dem Residenzplatz.

Der Tag in Erinnerung an die Salzburger Bücherverbrennung des Jahres 1938 wurde mit einem Diskussions- und Filmabend im Salzburger Literaturhaus beendet.

Gerhard Langer (links) sprach mit Robert Schindel (rechts) und dem Generalsekretär der Israelitischen Kultusgemeinden in Österreich, Mag. Raimund Fastenbauer (Mitte), über die Bedeutung von Bücherverbrennungen für die jüdische Tradition, über neuen und alten Antisemitismus, über „Vergangenheitsbewältigung“ als „Gegenwartsbewältigung“. Im Anschluss wurde der 2001 gedrehte Film „Gebürtig“ nach dem gleichnamigen Roman von Robert Schindel gezeigt.

Gert Kerschbaumer, Gerhard Langer, Karl Müller

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Motto

Podcasts

Artarium - Erinnern und Vergessen 1: Spurensuche in Salzburg

Ein Podcast von Norbert K. Hund zum Thema Bücherverbrennung

Artarium - Erinnern und Vergessen 2: Vater und Sohn

Ein Podcast von Norbert K. Hund zum Thema Bücherverbrennung

Fotos

Texte/Reden

Tomas FRIEDMANN, Erinnerung an die Salzburger Bücherverbrennung 1938 (Moderation), Salzburg 2019

Guten Abend, sehr geehrte Damen und Herren im Namen der Initiative Freies Wort.

Wir bedanken uns beim Salzburg Museum, bei Martin Hochleitner und seinem Team, vor allem bei Natalie Fuchs und Stephanie Müllers, für die engagierte Kooperation. Und wir bedanken uns bei allen Kooperationspartnern:

  1. der Israelitischen Kultusgemeinde
  2. dem Zentrum für Jüdische Kulturgeschichte der Universität Salzburg
  3. dem Stefan Zweig Zentrum
  4. der Salzburger Autorengruppe
  5. dem Komitee Stolpersteine
  6. dem KZ-Verband / Verband der AntifaschistInnen
  7. dem Friedensbüro
  8. erinnern.at
  9. der Katholischen Aktion
  10. der Robert-Jungk-Bibliothek für Zukunftsfragen
  11. und dem Literaturhaus
  12. sowie für die Unterstützung bei den Kulturabteilungen von Stadt und Land Salzburg.

Ich darf Ihnen zu Beginn eine Programmänderung bekanntgeben: Nach der plötzlichen Erkrankung der 88-jährigen NS-Überlebenden und Wiener Ärztin Lucia Heilman, die wir als Zeitzeugin eingeladen haben, freue ich mich, dass es gestern mit Unterstützung zahlreicher Menschen – von Erich Hackl bis Renata Schmidtkunz – gelungen ist, die Autorin und Journalistin Anna Goldenberg und den Rom und Schriftsteller Stefan Horvath spontan zu gewinnen, um heute hier mit Heinz Patzelt, dem Generalsekretär von Amnesty International in Österreich und mit der Ö1-Redakteurin Renata Schmidtkunz als Moderatorin zu diskutieren. Danke und allen herzlich willkommen!

Wir haben diesmal als Thema „Zivilcourage gestern : heute“ gewählt – und dabei sind wir auch von der Rede Erich Frieds 1987 auf dem Salzburger Residenzplatz ausgegangen, die ich als Student live miterleben durfte. Dies war das erste öffentliche Erinnern an die Salzburger Bücherverbrennung vom 30. April 1938 überhaupt – organisiert von der Salzburger Autorengruppe mit Ludwig Laher. Der Schriftsteller wird nach dem Gespräch hier in der Max-Gandolph-Bibliothek um 20.30 Uhr eine Rede beim neuen Mahnmal zur Bücherverbrennung am Rand des Residenzplatzes halten. Ihn begrüße ich ebenso herzlich wie die Geigerin Marie-Christine Klettner, die hier oben und später dort unten spielen wird. Danke für euer Engagement.

Den Rahmen für diesen zweiten Teil des Gedenkens bildet das Musikstück „S’brent“ von Mordechaj Gebirtig, das als Glockenspiel anfangs einmal und zum Schluß dreimal erklingen wird.

Es war ein unvergessliches Erlebnis für mich, am Samstag auf dem Turm der Neuen Residenz beim Glockspielsetzen dabeisein zu dürfen – und wir bedanken uns bei der Familie Schmidt herzlich für ihre Arbeit (an dieser Stelle möchten wir an den im Dezember vergangenen Jahres verstorbenen Salzburger Glockenspielsetzer Erich Schmidt erinnern, der bei unserem letzten Gedenken 2013 diese Arbeit getan und uns unterstützt hat). Danke, wir werden dich nicht vergessen.

Albert Lichtblau wird jetzt kurz auf das Historische eingehen und dann Karl Müller auf das Thema Zivilcourage.

Zum Schluss erinnere ich an die Worte Erich Frieds: „Bloß die Bücher-verbrennung zu verdammen und nicht zu kämpfen, das genügt nicht einmal um neue Bücherverbrennungen zuverhindern und das genügt nicht, um die Verbrennung der ganzen Welt zu verhindern.“ Mit „kämpfen“ meinte Fried, wie er in einem Interview sagte, ganz bewußt : soziales Denken und solidarisches Handeln, gegen Kriege, Hungersnöte, Umweltkatastrophen und Ungerechtigkeiten jeden Anlass zu nutzen, um mutig seine Stimme zu erheben – für Mitmenschlichkeit und Nächstenliebe.  Darum soll es heute Abend gehen.

Empfohlene Zitierweise:
Tomas FRIEDMANN, Erinnerung an die Salzburger Bücherverbrennung 1938 (Moderation), Salzburg 2019, online unter: Initiative Freies Wort, https://www.initiative-freies-wort.at/veranstaltungen/veranstaltung-2019/ (Datum des letzten Zugriffs).

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Karl Müller („Initiative Freies Wort“)
Rede am 30. April 2019

Die Kraft, das Zentrum, die innere Triebfeder unserer Bemühungen ist jenes wohl klingende Wort ZIVIL-COURAGE, eine Haltung zur Welt, zu den Menschen, zur Gesellschaft, zum politischen Leben – ein wohl klingendes Wort, so leicht auszusprechen und offenbar so schwer zu leben/praktizieren – in offenen, demokratisch verfassten Gesellschaften eigentlich eine ungefährliche Banalität und Selbstverständlichkeit und doch von substantiellem Wert (Salz der Erde), in anderen Gesellschaften allerdings eine lebensgefährliche Haltung, oft nur bei Bedrohung von Leib und Leben zu leben – ZIVIL-COURAGE als eine kritische, nicht kritikasterische Widerstehenskraft, als etwas Lebendiges gegen das Den-Kopf-in-den-Sand-Stecken, gegen ohnmächtiges Hinnehmen, gegen Kuschen, Mitläufertum, gegen dieses eigennutzige „Das-Hemd-ist-mir-näher-als-der-Rock“, gegen politische Verblendung und Gefolgschaftstreue jeglicher Art und zugleich als ein innerliches Feuer für die Menschenrechte, nicht zuletzt also gegen Benachteiligung, Denunziation, Stigmatisierung bis De-Humanisierung von Personengruppen. Wie gesagt – leicht und einfach zu beschwören, aber schwer zu machen.

Was hier fehlt: Reflexionen über den Missbrauch und Vereinnahmung des Wortes/Begriffes Zivilcourage durch die Rechte aller Couleurs und Herkommen querbeet – seit Jahren – Umpolung, konnotative Anreicherung, Umdeutung … kulturelle Hegemonie gewinnen durch
Diskursinstrumentalisierung! Vgl. Alfred Döblin: Berlin Alexanderplatz: Augen auf, Augen auf …

Die zitierten Sätze stammen aus jenem Abschlusskapitel von Alfred Döblins „Berlin Alexanderplatz“, in dem sich gegen Ende der Weimarer Republik die mächtigen Flügel dieses Romans gewissermaßen zum symbolträchtigen Warnflug eines Adlers entfalten:

Und damit stürzt zusammen der alte Franz Biberkopf, es ist beendet sein Lebenslauf. Der Mann ist kaputt. Es wird noch ein anderer Biberkopf gezeigt, dem der alte nicht das Wasser reicht und von dem zu erwarten ist, daß er seine Sache besser macht. […] Da rollen die Worte auf einen ein, man muß sich vorsehen, dass man nicht überfahren wird, passt du nicht auf auf den Autobus, fährt er dich zu Apfelmus. Ich schwör sobald auf nichts in der Welt. Lieb Vaterland, kannst ruhig sein, ich habe die Augen auf und fall so bald nicht rein. […] Wenn Krieg ist, und
sie ziehen mich ein, und ich weiß nicht, warum, und der Krieg ist auch ohne mich da, so bin ich schuld, und mir geschieht recht. […] Wach sein, Augen auf, aufgepasst […], wer nicht aufwacht, wird ausgelacht oder zur Strecke gebracht.¹

Einige sinnlich-anschauliche Beispiele aus Vergangenheit und Gegenwart …

Renata Schmidtkunz im Gespräch mit Stefan Horvath, Anna Goldenberg und Heinz Patzelt.

¹ Alfred Döblin, Berlin Alexanderplatz, 371 und 419 (Neuntes Buch, Abschnitt „Und Schritt gefasst und rechts und links und rechts und links“).

Empfohlene Zitierweise:
Karl MÜLLER, Erinnerung an die Salzburger Bücherverbrennung 1938 (Rede), Salzburg 2019, online unter: Initiative Freies Wort, https://www.initiative-freies-wort.at/veranstaltungen/veranstaltung-2019/ (Datum des letzten Zugriffs).

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Rede Albert Lichtblau

Dass hier vor Ort Jugendliche mit Salzburger Lehrern und Bürger und Bürgerinnen mehr als 1.000 Bücher auf den Scheiterhaufen der Geschichte vernichten wollten, sollten wir nicht vergessen. Es war einer der Schritte, dem die Vernichtung von Menschenleben folgten. Dass es dafür drei Erinnerungsorte bedurfte, zwei am Residenzplatz, einem an der Universität, sollte uns zu denken geben.

Die unsere Länder vor großen Dummheiten und Gewalt bewahrende, da warnende Schutzschicht der Erinnerung an die NS-Verbrechen wird mit dem Verlust der Zeitzeuginnen und Zeitzeugen dünner. Die Verantwortung für unsere Gegenwart und Zukunft liegt in unser aller Hände. Das Erinnern an die NS-Verbrechen kann dabei helfen, das ist wichtig und macht Sinn.

Den antifaschistischen Appell eines NIE WIEDER sollten wir weitergeben. Wir wissen aus Erfahrung: Was einmal geschah, kann in der einen oder anderen Form wieder geschehen.

Ich merke, wie mich (und andere) die aktuelle Politik in diesem Land (und anderen Ländern) schwächt. Die Verrohung der Sprache ist ein gefährlicher Schritt: Bevölkerungsaustausch, Rattengedichte! Das will ich nicht.

Vermutlich werden wir einmal ein Mahnmal benötigen, dass all die Namen auflistet, die auf der Flucht oder auf der Suche nach einem für sie besseren Leben im Mittelmeer ertrinken mussten und noch ertrinken werden, weil niemand helfen durfte. 2018 verloren laut UNHCR 2.275 dabei ihr Leben.

Es gibt aber auch genug Grund zur Hoffnung: Ich erinnere daran, wieviel Menschen 2015 bereit waren wie selbstverständlich zu helfen.

Aber auch die aktuellen Streiks und Demonstrationen der Schüler und Schülerinnen, um couragiert die Politik wachzurütteln, etwas gegen den Klimawandel zu unternehmen, geben Hoffnung.

Es geht immer auch um ihre Zukunft, wenn wir an die Vergangenheit denken.

Wenn wir uns nur mit der Gegenwart befassen, vergessen wir leicht, wie sehr uns Vergangenheit prägt.

Wenn wir uns nur mit der Vergangenheit befassen, vergessen wir manchmal die Gegenwart und die Zukunft.

Gefährlich wird das dann, wenn sich die Gegenwart mit uns befasst, weil wir auf einmal nicht dazu passen, warum auch immer. Das Denken in Feindbildern ist vertraut und Ängste werden rasch geschürt.

Empfohlene Zitierweise:
Albert LICHTBLAU, Erinnerung an die Salzburger Bücherverbrennung 1938 (Rede), Salzburg 2019, online unter: Initiative Freies Wort, https://www.initiative-freies-wort.at (Datum des letzten Zugriffs).

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Rede Ludwig Laher

Als Erich Fried am 30. April 1987 im Jahr vor seinem Tod diese Rede auf dem Residenzplatz hielt, war er bereits schwer krank. Und doch hat er keine Sekunde gezögert, als ich ihn in England anrief und um seine Mitwirkung an der allerersten Gedenkfeier am 49. Jahrestag der einzigen österreichischen Bücherverbrennung durch die Nazis ersuchte. Wir Salzburger Autorinnen und Autoren der damaligen Gegenwart meinten, die Forschungsergebnisse von engagierten Wissenschaftlern wie Gert Kerschbaumer oder Karl Müller dürften in dieser geschichtsträgen Stadt nicht folgenlos bleiben. Beim runden „Jubiläum“, der 50. Wiederkehr des barbarischen Aktes, so unser Kalkül, würden Stadt und Land sich selbst gefordert sehen, eine würdige Gedenkinitiative zu setzen. Mit den nötigen Bezügen zu aktuellen Entwicklungen, versteht sich, und mit der Ankündigung, ein Mahnmal am Ort des Geschehens errichten zu wollen. Aber weit gefehlt. Es gab keine Feier zum Fünfziger und auch viele weitere Jahre nicht mehr. Und der Weg zum Mahnmal wurde sehr lang und sehr mühsam.

Erich Frieds Weg vom Hotel zum Residenzplatz war zwar kurz, aber trotzdem beschwerlich für ihn. Er bat mich, auf seinen Stock gestützt, jenen bereits aufgeblasenen orangefarbenen Gummireifen zu tragen, der mir von meinem Vater noch wohlvertraut war, als er, zum Skelett abgemagert, ohne diese schmerzlindernde Unterlage nicht mehr richtig sitzen konnte. Der Vater starb an Krebs, als ich sechs war. Nun plazierte ich den Reifen schließlich auf jenem Stuhl, auf den Fried sich dann niederließ, um seinen Auftritt zu erwarten.

In meinem Kopf begegneten sich in diesem Moment die Erinnerungen an meine persönliche Leiderfahrungen als kleines Kind 1962, das Wissen um die des Jugendlichen Erich Fried, der seinen Vater durch die Brutalität der Gestapo 1938 unmittelbar nach der Salzburger Bücherverbrennung verlor, der Anblick des krebskranken Zeitzeugen und lebenslangen Kämpfers gegen alte und neue Barbareien Erich Fried sowie das Nachdenken über die Schicksale unserer Schriftstellerkolleginnen und -kollegen, die dereinst vor dem sich abzeichnenden Weltenbrand eindringlich gewarnt hatten und dafür zumindest symbolisch dem Feuer überantwortet wurden. Erich Fried, glücklicher als andere wie etwa Jura Soyfer, entging dem Holocaust durch die Flucht nach England, wo er im aktiven Widerstand etwa in jener Radiokommission von Young Austria mitarbeitete, die der BBC authentische Informationen über Widerständige und ihre mutigen Aktionen im besetzten Österreich zukommen ließ.

Nach dem Krieg waren es direkt oder indirekt an der Bücherverbrennung auf dem Residenzplatz beteiligte NS-affine Schriftsteller wie Karl Springenschmid, Augustin Ableitner oder Karl Heinrich Waggerl, die in Salzburg populär waren, nicht die exilierten verbrannten wie Jakob Haringer oder Stefan Zweig, denen Österreich am Herzen lag. Uns, den jetzt hier lebenden, sollte in Kooperation mit kritischen Wissenschaftlern 1988 die Umbenennung wenigstens einer einzigen Straße gelingen, die Salzburg noch 1975 – ich wiederhole: 1975 – dem fanatischen Hetzer Augustin Ableitner gewidmet hatte, der nach Anschluss und Bücherverbrennung unter anderem dem KZ Dachau ein zynisches Gedicht widmete, das so beginnt: Dachau ist eine zünftige Gegend / und sehr gesund, appetitanregend. / Die schöne Aussicht kommt denen zustatten, / die früher mal keine Einsicht hatten.

Nein, was wir derzeit in Österreich erleben, ist keine wirkliche Überraschung, von nichts kommt nichts. Die sogenannten sozialen Medien machen es politischen Gesinnungsgemeinschaften, schlagenden Burschenschaften und ähnlichen Vereinigungen, die illiberale Demokratiekonzepte bis hin zur Wiedererrichtung eines dumpfen völkisch-nationalen Staatswesens verfolgen und sich mehr oder weniger perfekt dummstellen, wenn sie dazu kritisch befragt werden, lediglich außerordentlich leicht, Einfluss auf in Teilen desorientierte jüngere Generationen, vor allem auf junge Männer zu nehmen, die zu einem erschreckenden Prozentsatz den starken Mann herbeisehnen, weil ihnen Bildung, auch Herzensbildung, sowie Angenommenheit abgehen. Paradoxerweise lässt erst das Aufgehen in radikalisierten Fußballfanorganisationen oder in digitalen Abogemeinschaften für die Absonderungen gewisser politischer Verantwortungsträger, die hunderttausende Netznutzer vereinen, dafür Empfängliche sich selbst spüren und scheinbare Stärke gewinnen. Denn man steht dann ja fest auf der Seite jener, die einfache Lösungen und weitgehend wehrlose Sündenböcke für alle Probleme gefunden haben wollen.

Verantwortlich dafür sind aber nicht in erster Linie die Verführten, denen historisches und anderes Wissen abgeht, das in der Schule heute übrigens nahezu verpönt ist und mehr und mehr durch sogenannte Kompetenzen, Fertigkeiten ersetzt wird. International perfekt vergleichbar und objektiv bewertbar sollen die angeblich sein und entsprechen doch nur utilitaristischen Konzepten der Abrichtung des Menschen für die Bedürfnisse der Wirtschaft. Kreativität zum Beispiel ist kein gut vergleichbares Bildungsziel, also vernachlässigenswert, Literatur, überhaupt alles Künstlerische mit dem Scheuklappendenken standardisierter Prüfungsformate schlecht vereinbar. Also aufs Abstellgleis damit.

Es ist hier weder der Ort noch die Zeit, jener Komplexität Rechnung zu tragen, die die momentane alarmierende Verfasstheit unseres staatlichen Gemeinwesens auszeichnet. Nur soviel: Verantwortung trägt zunächst einmal die Politik, die Regierung dieses Landes, die zum Beispiel einen Vizekanzler duldet, der ernsthaft über einen Bevölkerungsaustausch schwadroniert und, mindestens so schlimm, ungestraft behaupten darf: Nur dort, wo jemand versucht, seine politischen Ziele mit Gewalt durchzusetzen, handelt es sich um Rechtsextremismus. Das ist nichts anderes als ein genereller Freibrief für das publizistische Salonfähigmachen rechtsextremen Gedankenguts, damit sind unzählige rechtsextreme Entgleisungen freiheitlicher Funktionäre, die sogenannten Einzelfälle, mit einem Schlag exkulpiert.

Schriftstellerinnen und Schriftsteller stehen auch heute an vorderster Front jener, die sich intensiv mit der Sprache der Hetzer beschäftigen und vor fatalen Weichenstellungen warnen. Erst neulich wurde ich von Renate Welsh, der Präsidentin unseres Berufsverbandes, gebeten, mich aktiv an der Redaktion einer öffentlichen Stellungnahme zu beteiligen, die folgendermaßen lautet und mit einem Satz des Innenministers beginnt:

„Ich glaube immer noch, dass der Grundsatz gilt, dass das Recht der Politik zu folgen hat und nicht die Politik dem Recht“, dozierte Innenminister Herbert Kickl im ORF-Report vom 22.1.2019. Dieser Grundsatz galt tatsächlich in unseligen Zeiten, als etwa die NSDAP Rechtsorgane schriftlich anherrschte, es sei „völlig abwegig und ausgeschlossen, dass die Staatsanwaltschaft die Gesetzmäßigkeit von Maßnahmen der Verwaltungsbehörde oder einer Parteidienststelle überprüft“, die Mord und Totschlag zur Folge hatten.

Die Politik hat in der Demokratie das Recht ohne Wenn und Aber zu respektieren, die in der Verfassung festgelegten Prinzipien der Gewaltentrennung und Rechtsstaatlichkeit sind zu garantieren.
Österreichischen Parteien steht es frei, national und auf EU-Ebene für die Veränderung bestehender Gesetze um je nötige Mehrheiten zu werben. Wer allerdings das Völkerrecht aushebeln will, die Menschenrechtskonvention in Frage stellt und die Gewaltentrennung undGleichheit vor dem Gesetz als Hindernis für seine Vorhaben begreift, ist als Innenminister untragbar. Herbert Kickl muss gehen, und zwar sofort.

Über dreihundert Schriftstellerinnen und Schriftsteller, praktisch alles, was Rang und Namen hat in Österreichs Literatur, stellten sich hinter diesen Text, der ein in meinem dokumentarischen Roman ‚Herzfleischentartung‘ vorkommendes Zitat enthält, mit dem die NSDAP jenen mutigen Oberstaatsanwalt bedrohte, der 1941 Licht in die Tötungsverbrechen der SA im NS-Arbeitserziehungslager Weyer-St. Pantaleon an der Grenze Salzburg-Oberösterreich bringen wollte. Mord und Totschlag werden darin verharmlosend als Maßnahmen einer Parteidienststelle bezeichnet, die sakrosankt bleiben müssen.

Dass man für jedwede auch noch so begründete Äußerung, die nicht den Geschmack rechter Recken abbildet, von deren Seite Hass erntet, ist heutzutage längst ein Gemeinplatz. Die Koordinaten für die Biegsamkeit des Verfassungsbogens, der selbstverständlichen Duldung unseligen Gedankengutes haben sich längst alarmierend verschoben. Auf der FPÖ-Fanseite war zu unserer Erklärung mit den Namen von 308 Autorinnen und Autoren längere Zeit beispielsweise der ebenfalls mit vollem Namen gezeichnete Eintrag eines sich im Netz einschlägig präsentierenden Mannes zu lesen, der jubelte: Super jetzt haben wir eine Liste und wenn es dann soweit ist wissen wir wer abgeholt werden muss.

Aus diesen Worten spricht derselbe Zynismus, der das zitierte Gedicht Augustin Ableitners kennzeichnet. Die Annehmlichkeiten des Lagerlebens sollen denen zustatten kommen, die früher keine Einsicht hatten und sich frech gegen einen neuen Anlauf stemmen, die Demokratie Stück für Stück auszuhebeln. Was aus unserer Sachverhaltsdarstellung an die Staatsanwaltschaft Innsbruck werden wird, wird sich weisen. Der Vizekanzler jedenfalls weiß schon jetzt, dass derlei mit Rechtsextremismus garantiert nichts zu tun hat. Gewalt wird ja nur angedroht, nicht durchgesetzt.

Bloß die Bücherverbrennung zu verdammen, ohne gegen die dahinterstehende Gesinnung anzukämpfen, genüge nicht, meinte Erich Fried in seiner Rede vor 32 Jahren. So ist es. Diese erbärmliche Politik unserer Bundesregierung kann es nur geben, weil ihr nicht ganz so rechter Teil mitmacht, wenn ganze Gruppen ohne Ansehen des Einzelnen ausgegrenzt werden, wenn tagtäglich Zwietracht gesät wird und der rechtsextreme Zynismus sich schon ganz offiziell in der Sprache von Bundesbehörden manifestiert, wie man auf einschlägigen Schildern nachlesen kann. Wo Erstaufnahmezentren zu Ausreisezentren mutieren, noch bevor die Antragsgründe Asylsuchender überhaupt vorgebracht werden können, ohne dass der Kanzler ein Machtwort spricht, ist Feuer am Dach. Proteste dagegen verhallten schnell, denn die zweifellos noch vorhandene Mehrheit jener, die der Demokratie gewogen sind und die Menschenrechte geachtet wissen wollen, verhält sich zum Gutteil still und wendet sich ihren Geschäften zu. Erich Fried sprach auf dem Residenzplatz vom Kuschen als praktischer Überlebensregel, die von Generation zu Generation vererbt werde. Man kann ja nie wissen. Ja, man kann nie wissen. Aber man könnte wissen.

Jenen Aktivistinnen und Aktivisten, die hier unermüdlich Zeichen setzen, sich für das freie Wort engagieren und auch hinter dem Zustandekommen der heutigen Veranstaltung stehen, möchte ich als längst aus Salzburg Verzogener herzlich danken. Und Ihnen allen auch, die Sie an ihr teilgenommen haben. Machen wir uns bemerkbar.

In meinem letzten Lyrikband ‚was hält mich‘ findet sich ein kurzes Gedicht, formal eine Hommage an ein von Erich Fried häufig genutztes literarisches Verfahren. Es setzt sich mitden Folgen des Nicht-rechtzeitig-den-Mund-Aufmachens auseinander und soll deshalb am Ende meiner Ausführungen stehen:

vorlieb nehmen lernen müssen

vorlieb nehmen lernen

vorlieb nehmen

Empfohlene Zitierweise:
Ludwig LAHER, Erinnerung an die Salzburger Bücherverbrennung 1938 (Rede), Salzburg 2019, online unter: Initiative Freies Wort, https://www.initiative-freies-wort.at/veranstaltungen/veranstaltung-2019/ (Datum des letzten Zugriffs).

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Musikalisch eröffnet wurde diese Feier mit der Komposition „Undzer shtetl brent“ (1938) von Mordechaj Gebirtig (1877 in Krakau – 1942 im Ghetto Krakau) durch das vom Glockenspielmeister Erich Schmidt gesetzte Salzburger Glockenspiel. Bereits 2013 hatte Herr Schmidt das Salzburger Glockenspiel, auf dem ca. 50 Musikstücke gespielt werden können, mit diesem Lied (1938) neu „gesetzt“. 2019 durften wir als Initiative Freies Wort darauf zurückgreifen. Die Melodie wurde von der Geigerin Marie-Christine Klettner am Ende der Feier beim Mahnmal am Salzburger Residenzplatz aufgenommen und über den Residenzplatz gespielt.

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